Steffi G. aus Island

Quelle: Privat

Steffi ist 46 Jahre alt und wohnt mit ihrem Mann und den drei Töchtern im Land der Vulkane, der Trolle und der Geysire. Die Rede ist natürlich von Island! Ihr Weg führte sie 1996 nach dem Abitur dorthin, wo sie als Au-Pair ein Jahr Zeit verbringen und auf ihren Platz für das Medizinstudium warten wollte. Nach einem Jahr wurde Steffi gefragt, ob sie nicht noch etwas länger in Island bleiben möchte und so entschloss sie sich, nicht nur ihren Aufenthalt zu verlängern, sondern auch ihren Berufswunsch zu überdenken. Der Zufall wollte es, dass sich genau zu dieser Zeit eine große deutsche Fluggesellschaft bei ihr meldete und ihr nach einem bereits länger zurückliegenden Eignungstest die Möglichkeit einer Ausbildung zur Pilotin anbot. Der Haken an diesem Angebot waren allerdings die wahnsinnig hohen Kosten, die sie selber hätte tragen müssen (180 000 DM) und keine Jobgarantie. In Island lagen die Kosten deutlich niedriger (50 000 DM) und so entschied sie sich mit Unterstützung ihrer Eltern zur Pilotenausbildung in Island. Wenn Steffi an die Zeit ihrer Ausbildung zurückdenkt, erinnert sie sich an einen extrem durchgetakteten und anstrengenden Tagesablauf. Ihr Tag begann mit Flugstunden, dann ging es in die Pilotenschule und im Anschluss zur Arbeit in eine Jugendherberge, die auf ihre Au-Pair-Tätigkeit folgte. 1999 war Steffi mit der Pilotenausbildung fertig und flog am Anfang Touristen, was ihr zusätzliche Flugstunden einbrachte, die für Piloten sehr wichtig sind. Für den Erwerb einer europäischen Fluglizenz besuchte sie danach noch einmal für ein Jahr die Flugschule und freute sich, endlich als Pilotin richtig arbeiten zu können.

Quelle: Privat

Mit dem 09. September 2011 änderte sich plötzlich alles und die gesamte Flugbranche erlebte einen Zusammenbruch. Keine Fluggesellschaft wollte neue Pilot*innen einstellen und so entschied sich Steffi weiter in der Jugendherberge und für ein Reisebüro zu arbeiten. 2005 folgte eine Stelle bei einer Cargo-Firma, wo sie erst Flugpläne erstellte und dann zwei Jahre später endlich wieder selber fliegen dürfte. Bis Ende 2020 flog Steffi große Cargo Maschinen. Mit dem Verkauf der Cargo Fluggesellschaft wurden alle Pilot*innen gekündigt (es lag nicht an Corona, weil Cargo Flüge davon nicht betroffen waren, sondern weil den Gewerkschafts-Pilot*innen illegal gekündigt wurde!). Steffi überlegte, wie es nun weitergehen sollte und entwickelte viele Ideen. Sie hatte schon immer eigene Islandpferde gehabt und überlegte ihr Hobby zum Beruf zu machen. Auf Island gab es im Vergleich zu den meisten anderen Ländern keine klassischen Reitschulen oder Reitbeteiligungen. So entstand die Idee eines Reitclubs, in dem sie interessierten Menschen den Umgang und das Reiten auf den Isländern ermöglichen wollte. Nach und nach kaufte sie noch zusätzliche Pferde dazu und entdeckte durch einen Zufall die sogenannten „Blutstuten“. 2021 hörte sie zum ersten Mal von dieser Geschäftspraxis, bei der aus dem Blut von trächtigen Stuten ein Hormon gewonnen wird, um
es in der Massentierhaltung von Schweinen einzusetzen. Ziel ist es, durch das Hormon einen möglichst zeitgleichen Trächtigkeitszyklus der Muttersauen zu erzeugen, um noch effizienter arbeiten zu können. Eine mehr als fragwürdige und moralisch inakzeptable Methode für die Schweine und grauenvolles Leid für die Mutterstuten auf Island. Dabei kann dieses Hormon auch künstlich hergestellt werden. Für Steffi und ihre Freundinnen war schnell klar, dass sie etwas dagegen unternehmen wollte und so kauften sie zahlreiche trächtige Stuten und ihre Fohlen auf. Ihr eigener Pferdebestand wuchs auf insgesamt 30 Pferde an, denen sie ein artgerechtes und schönes Leben mit ausreichend Platz bieten und dies mithilfe einer Freundin, die auf Island einen Bauernhof betreibt, ermöglichen konnte.

Inzwischen arbeitet Steffi bei der isländischen Küstenwache und gewöhnt sich langsam an ihren Job ohne Schichtarbeit. Ab und an führt sie noch Freelance Flüge durch und überführt dabei z.B. nagelneue Maschinen aus der Fabrik an ihren Zielort. In dieser Zeit darf sie sich bei der Küstenwache unbezahlten Urlaub nehmen, was ihr eine hohe Flexibilität ermöglicht. Wenn Steffi an Gleichberechtigung und Gleichstellung in der Flugbranche denkt, kann sie eigentlich kaum einen Unterschied feststellen. Die Branche war früher sehr stark von Männern dominiert, aber inzwischen gibt es mehr Pilotinnen, wenn auch immer noch viel zu wenige. Eine gewisse Robustheit ist in diesem Beruf von Vorteil und man sollte nicht zu zaghaft sein, aber im westlichen Europa gab es nie Probleme mit männlichen Kollegen. Im östlichen Europa erlebte Steffi schon einmal die ein oder andere Anspielung oder einen unpassenden Kommentar, aber auch das hielt sich in Grenzen.

Quelle: Privat

Steffi ist glückliche Mutter von drei Mädchen im Alter von 12, 13 und 15 Jahren. Für dieses Glück musste sie lange Zeit kämpfen und sehr viele Belastungen aushalten. Mit 23 Jahren lernte sie ihren Mann in Island kennen (er kommt aus Dänemark) und den beiden war schnell klar, dass sie gerne Kinder haben wollten. Der Kinderwunsch gestaltete sich jedoch viel schwieriger als gedacht. Sie erlitt 6 Fehlgeburten und versuchte durch insgesamt 15 künstliche Befruchtungen schwanger zu werden. Nach zahlreichen und nicht endend wollenden Untersuchungen stellte man schließlich fest, dass (vereinfacht ausgedrückt) Steffis Körper jedes Embryo immer wieder abstoßen würde, ähnlich wie bei manchen Autoimmunerkrankungen, wo der eigene Körper sich gegen einzelne Organe wendet. Es folgte die bittere Erkenntnis, dass Steffi nie ein Baby bekommen konnte. Ihr Mann und sie gaben die Hoffnung nach einem Kind aber nicht auf, entschieden sie sich für eine Adoption. Damit begann die nächste Problematik, da es auf Island sehr schwer bis fast unmöglich war ein Kind zu adoptieren, weil sich fast immer ein familiäres Netz findet, in dem Waisen aufgefangen werden. Aus diesem Grund ergab sich für Steffi und ihren Mann die Lösung, wie sie in unserem Interview so passend feststellte:“ Zwei Ausländer in einem Drittland adoptieren aus einem Viertland!“ Den bürokratischen Aufwand, die vielen Dokumente aus unterschiedlichen Ländern und eine komplizierte Kommunikation bedeuteten für sie und ihren Mann eine Menge Arbeit, viel Nerven und Durchhaltevermögen. Von Anfang an stand für die beiden fest, dass sie unbedingt Geschwister adoptieren wollten und ihre erste Wahl fiel auf Kolumbien. Bedingt durch Unruhen erfolgte einige Zeit später ein Adoptionsstopp und so entschieden sie sich für Tschechien.

Anfang März 2015 ging es für Steffi und ihren Mann auf eine Kreuzfahrt in die Karibik, als sie die langersehnte Nachricht erreichte, für eine Adoption ausgewählt worden zu sein. Einige Telefonate auf hoher See mit dem Satellitentelefon, für 5 Euro die Minute, später erfuhren sie von 3 Mädchen, die zur Adoption standen. Bis Ende Juni mussten sich Steffi und ihr Mann gedulden, bis sie sich zum ersten Mal mit ihren Kindern in Tschechien treffen durften. Der Anfang und die Kennenlernphase mit den Geschwistern im Alter von 5, 6 und 7 Jahren gestaltete sich nicht so einfach, alleine schon durch die sprachliche Barriere, aber sie fanden ihren Weg und wurden zu einer richtigen Familie. Ihre Mädchen teilen mit Steffi ihre Leidenschaft für die Pferde und genießen das Leben auf Island. Steffi ist sehr froh, diesen Weg gewählt zu haben und sie glaubt fest daran, dass bedingungslose Liebe alles schaffen kann. Ihr Mann und sie haben die Möglichkeit der Adoption nie bereut, aber es müssen wirklich beide Partner zu 100 % hinter dieser Entscheidung stehen.

Quelle: Privat

Gleichstellung ist in Island völlig normal. Es gibt keinen Unterschied in den Gehältern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gegeben. Jeder hat auf Island Verständnis, wenn Eltern früher gehen müssen oder wegen eines kranken Kindes zu Hause bleiben. Elternzeit wird in Island geteilt und das Schulsystem geht viel mehr auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder ein. Steffi ist immer sehr überrascht, wenn sie die Abläufe und das System von Deutschland sieht. Eine kleine und nicht ganz unproblematische Besonderheit gibt es allerdings auf Island. Dort sind die Sommerferien 11 Wochen lang, was die Schüler*innen natürlich sehr freuen dürfte, aber für die Eltern nicht immer so einfach zu managen ist. Es in dieser Zeit jedoch viele Kurse und Möglichkeiten angeboten, um in den Ferien die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu ermöglichen. Eines ist Steffi ganz wichtig! Frauen sollen sich einander unterstützen. Besonders in Berufen, die überwiegend von Männern ausgeübt werden. 

Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal bei Steffi für das tolle Interview, ihre Eindrücke über Island, die Geschichten über ihre Pferde und ihr Vertrauen über ihre Erfahrungen mit dem Thema Kinderwunsch und Adoption zu sprechen. Vielen Dank, liebe Steffi!