Gender Equality Paradox

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Das Gender Equality Paradox zeigt, wie der Name schon verrät, einen Widerspruch in Sachen Gleichberechtigung und technischen Studienfächern. Denn anders als man es vermuten würde, sinkt der Anteil an Studentinnen in einem MINT-Fach mit dem Wohlstand und der Geschlechtergerechtigkeit in einem Land.

Eine sehr interessante Studie zu diesem Thema kommt aus dem Jahr 2018 von David Geray und Gijsbert Stoet von der University of Essex. Die beiden Wissenschaftler untersuchten in knapp 70 Ländern die Wahl der Studienfächer von Frauen und Männern und machten eine sehr interessante Entdeckung im Bereich der MINT-Fächer (Naturwissenschaft, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik). Denn ob sich Frauen für ein solches Studium entscheiden und dieses auch abschließen, hängt auch von den jeweiligen Voraussetzungen in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit ab. Besonders in ärmeren Ländern, in denen die Frauen deutliche Nachteile in der Gleichstellung hinnehmen müssen, ist der Anteil an Frauen in MINT-Fächern überraschenderweise größer, als in emanzipierten Ländern. Als Beispiel führen die beiden Forscher Algerien an, wo über 40 % der Studentinnen sich für ein MINT-Fach entscheiden, während es in Norwegen nur knapp 20 % sind.

Was auf den ersten Blick sehr widersprüchlich erscheint, ist für die Forscher ein Zeichen dafür, dass sich Frauen in emanzipierten Ländern viel mehr auf ihre eigenen Stärken und Vorlieben fokussieren und aus der Gleichheit heraus entscheiden können. Eine weitere Vermutung liegt in der wirtschaftlichen Situation von Ländern mit fehlender Gleichberechtigung. Frauen verspüren in solchen Ländern einen größeren Druck, ein Studium zu wählen, welches ihnen die Chance auf einen gut bezahlten Beruf ermöglicht. Als Fazit resümieren David Geray und Gijsbert Stoet, dass die Diskrepanz der Verteilung von Frauen und Männern in MINT-Berufen nicht von einer fehlenden Gleichstellung entstammt, sondern genau diese es den Frauen erlaubt, andere Berufe zu ergreifen, die ihren eigenen Interessen entsprechen.

Diese wissenschaftliche Arbeit ist nicht unumstritten und auf z.T. sehr viel Kritik unter zahlreichen anderen Wissenschaftler*innen gestoßen. Doch konnte niemand den Zusammenhang zwischen wirtschaftlich reichen Ländern und einer niedrigen Frauenquote in einem MINT-Fach ausräumen. So abwegig sind diese Ergebnisse gar nicht. Für Frauen in ärmeren Ländern bedeuteten ein guter Schulabschluss und ein erfolgreiches Studium eine große finanzielle Sicherheit. Ohne weitreichende staatliche Unterstützung müssen die Frauen auch in patriarchischen Ländern an ihre eigene Zukunft und die ihrer Familie denken und gleichzeitig gegen die Überlegenheit der Männer ankämpfen.

Aber wie können reiche Länder mehr Frauen für einen Beruf in der MINT-Branche begeistern? Dazu haben sich 2022 drei Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz Gedanken gemacht. Unter dem Namen „Frauen meiden technische Berufe – wegen des Wohlstands“ haben sich Louisa Hizli, Annina Mösching und Margit Osterloh mit dem Thema Gender Equality Paradox auseinandergesetzt und an der Schweizerischen Gesellschaft für angewandte Berufsbildungsforschung Lösungswege skizziert. Als eine Möglichkeit sehen sie eine Verbesserung in der Kombination von Studieninhalten, die eher den Interessen von Frauen entsprechen, wie etwas das Fach Bio-Informatik. Besonders auffällig ist laut den Wissenschaftler*innen die fehlende Bereitschaft von Frauen in den direkten Wettbewerb mit Männern in einem technischen Studium oder Beruf zu gehen. Eine vorgeschriebene Frauenquote wäre kontraproduktiv. Eine interessante Idee für Studien oder Projekte könnte in einem Losverfahren liegen, bei dem Frauen und Männer die gleichen Chancen hätten und mit dieser Option die  Motivation die Frauen in einem technischen Beruf steigen könnte.