Kinderbetreuung und Gleichstellung Teil 2

Ein Blick hinter die Kulissen einer Kindertagesstätte

Quelle: Yan Krukov von Pexels

Im 2. Teil meiner Reihe zum Thema Kinderbetreuung und Gleichstellung geht es um den Alltag in einer Kindertagesstätte. Ich hatte das große Glück und konnte mit der Leiterin einer solchen Kita sprechen. Sie erzählte mir sehr sachlich von den Sorgen und Probleme im alltäglichen Leben in einer Kita.  Zum Schutz ihrer Privatsphäre haben wir uns gemeinsam dazu entschlossen, sie nicht mit ihrem vollen Namen vorzustellen. Sie heißt Barbara, kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet und ist seit 10 Jahren Leiterin einer Kindertagesstätte. Und in dieser Zeit erlebte sie eine stetige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter*innen und die Betreuungssituation für die Kinder. Besonders bitter dabei ist die Tatsache, dass spätestens seit der Coronapandemie jedem bewusst ist, wie systemrelevant die Arbeit als Erzieher*in ist, doch es ändert sich einfach nichts an den Problemen. Vielleicht liegt es auch daran, dass  zum größten Teil Frauen den Beruf der Erzieher*in ausüben und sie einfach zu nett sind und sich ihrer großen Verantwortung und Fürsorge bewusst sind. Laut Barbara sind die Frauen noch viel zu nett und leise und es wäre dringend an der Zeit, die Stimme zu erheben und endlich auf die so notwendige Reform im Bereich der frühkindlichen Betreuung hinzuweisen. Denn so, wie es im Moment in ganz Deutschland in den Kindertagesstätten abläuft, kann es nicht weitergehen!

Die aktuelle Situation ist sehr schwierig! In den letzten zwei Jahren ist es im Einzugsgebiet von der Kindertagesstätte von Barbara nicht mehr möglich, alle Kinder ab 3 Jahren aufzunehmen. Es stehen aufgrund eines massiven und fortschreitenden Fachkräftemangels nicht mehr genug Kita-Plätze zur Verfügung. Zum Teil wurden neue Kindergärten gebaut oder Gruppenräume geschaffen, aber ohne entsprechendes Personal können keine weiteren Kinder aufgenommen werden. Immer häufiger kommt es auch zu verkürzten Öffnungszeiten und Geschwisterkinder können nicht mehr im gleichen Kindergarten betreut werden. Das bedeutet für die Eltern (und meistens die Mütter) Reduzierung oder flexiblere  Arbeitsstunden und viel zusätzliche Organisation, wenn die eigenen Kinder unterschiedliche, oft sogar über mehrere Orte verteilte Kitas besuchen. Eine Mutter erzählte mir von ihren persönlichen Notfallplänen, bestehend aus Familie, Freunden und Nachbarn, die ihre Kinder von der Kita abholen, wenn diese wieder einmal früher schließen muss. 

Das ein solcher Zustand auf die Stimmung der Erzieher*innen und Eltern drückt, dürfte niemanden wirklich verwundern. Eltern, die einen der heiß begehrten Kitaplätze erhalten haben sind im ersten Moment einfach nur überglücklich. Aber mit der Zeit sinkt ihre Zufriedenheit und das Verständnis, wenn wieder eine E-Mail im Postfach landet und wegen fehlendem Personal darum gebeten wird, das eigene Kind, wenn möglich zu Hause zu lassen. Früher, erinnert sich Barbara, haben sich die Eltern über die Kindergartenzeit gefreut, es gab Geschenke und liebe Briefe als Erinnerung an diese ganz besondere Zeit. Das hat sich stark verändert. Viele Eltern sind zu recht mit der Situation unglücklich, traurig darüber, dass in der Vorweihnachtszeit keine Plätzchen mehr gebacken werden, keine Eier zu Ostern bemalt oder die Laternen zu dem St. Martinsumzug gebastelt werden. Aber solche Angebote sind in vielen Kitas nicht mehr machbar oder können nur noch spontan und auf die jeweilige aktuelle Personalsituation angepasst ermöglicht werden. Die Erzieher*innen versuchen ihr Bestes zu geben und sie wissen, wie wichtig ihre Arbeit und ihre Verantwortung den Kindern gegenüber ist, aber die fehlende Anerkennung und der ständige Stress setzen den Mitarbeiter*innen extrem zu.

Besonders nachdenklich macht Barbara die Entwicklung der Kinder, die zum Teil immer schwieriger im sozialen Umgang werden. Und dabei geht es nicht um einen sozialen Brennpunkt oder Kinder aus bildungsfernen Familien. Das sind noch einmal ganz andere Belastungen, denen die Kinder ausgesetzt sind. Aber auch die Kinder von privilegierten Elternhäusern zeigen immer stärker Veränderungen in der frühkindlichen Entwicklung und sind immer schlechter in der Lage zu spielen und sich alleine zu beschäftigen. Corona mag dabei noch ein Beschleuniger dieser Problematik gewesen sein, doch bestanden diese Auffälligkeiten auch vorher schon. Barbara sieht sehr viele gestresste Eltern in ihrem Alltag, die die wenige Zeit mit dem eigenen Kind so effektiv und sinnvoll wie möglich verbringen wollen. Dies äußert sich in einem enormen Freizeitdruck und ist gesteuert von vielen Events, wodurch die Kinder immer weniger wirkliche Freizeit haben und nie lernen, sich auch einmal zu langweilen, was nachweislich (in Maßen) die eigene Fantasie anregt und sich positiv auf die persönliche Entwicklung auswirkt. Es findet eine ständige Reizüberflutung statt und manchen Eltern fehlt es sogar aufgrund der stark durchgetakteten Freizeit in der Interaktion mit den Kindern. Da spielt manchmal auch das schlechte Gewissen eine Rolle oder eine besondere Harmonie wird gewünscht, in der dem Kind keine gesunden Grenzen mehr aufgezeigt werden. Die frühkindliche Entwicklung und Betreuung (sowohl in der Kita als auch zuhause) sind der Grundstein für das weitere Leben. Versäumnisse in dieser so wichtigen Zeit können später zu Problemen in der Schulzeit oder im erwachsenen Leben führen. Viele Eltern sind verunsichert und wissen nicht mehr was richtig und falsch ist. Auch hier bräuchte es viel mehr Personal und Zeit um für die Eltern da zu sein und sie bei Fragen und Problemen besser unterstützen zu können. Aber wenn Erzieher*innen noch nicht einmal alle Gruppen zu den normalen Öffnungszeiten betreuen können, wie sollen sie dann auch noch eine Hilfe und Ansprechpartner für die Eltern sein?

Quelle: Engin Akyurt auf Pixabay

Die Rahmenbedingungen in der Ausbildung zur Erzieher*in sind in Deutschland nicht einheitlich geregelt, auch wenn es sich um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf handelt. Es gibt Gebiete, wo die Ausbildung Geld kostet, aber auch andere Städte, wo die 5-jährige Ausbildung ab dem letzten Jahr mit einem kleinen Gehalt versehen ist. Einige Städte und Gemeinden versuchen ab dem 1. Ausbildungsjahr einen Zuschuss zur Ausbildung zu zahlen, aber insgesamt ist es einfach zu wenig Geld und es bedarf dringend einer Aufwertung dieses Ausbildungsberufes. Eine andere Alternative wäre die Änderung der Ausbildung in ein akademisches Studium, aber auch in diesem Fall müssten die Gehälter als fertige Erzieher*in deutlich steigen. Doch wie lässt sich diese verzwickte Situation in der Kinderbetreuung so schnell und effektiv wie möglich ändern? Barbara sieht im Moment nur die Möglichkeit einer vergüteten Ausbildung und den Fokus auf einer besseren Wertigkeit dieses Berufes. In der Gesellschaft, den Medien und der Politik muss das Bild weg von den netten Damen, die den ganzen Tag mit den kleinen Kindern irgendwelche Lieder singen und basteln und hin zu der wirklichen Aufgabe, nämlich der frühkindlichen Förderung und pädagogischen Betreuung von kleinen Menschen, die später als ein Teil dieser Gesellschaft Empathie, aber auch Teamfähigkeit und ein gutes Miteinander lernen sollten. Die Arbeitsbedingungen als Erzieher*in müssen sich verbessern, sonst droht die Gefahr von noch mehr erschöpften Mitarbeiter*innen, die den Beruf verlassen und aussteigen. Die Idee von Quereinsteiger*innen sieht Barbara als Soforthilfe sehr kritisch, da es zu einer Abwertung der vorhandenen Mitarbeiter*innen kommen würde, die pädagogischen Fähigkeiten nicht einfach in einem Wochenendseminar gelernt werden können und die Politik sich evtl. mit den Quereinsteiger*innen wieder aus der Verantwortung und den nötigen Impulsen für eine Veränderung ziehen könnte. Es braucht endlich Druck auf die Politik und den Willen und Mut zur Veränderung. Denn in der aktuellen Situation, da ist sich Barbara sicher, wird es noch viel mehr Mitarbeiter*innen geben, die in Zukunft ihren Beruf aufgeben und sich damit der Druck auf das übrige Personal noch weiter erhöht.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei Barbara und einigen Müttern und Vätern bedanken, die mir ihre Eindrücke geschildert haben. Die Situation ist wirklich ernst, ähnlich wie bei den Pfleger*innen, Lehrer*innen und vielen weiteren sozialen Berufen. Es fehlt an Fachkräften, die aber nicht so einfach und schnell ausgebildet werden können. Es fehlt an Geld, an Perspektiven und Anerkennung. Manches können wir als Gesellschaft beisteuern und die Mitarbeiter*innen unterstützen. Aber die wirklich wichtigen Veränderungen können nur aus der Politik kommen und die muss endlich handeln. Denn ohne eine Betreuung für die Kinder, können Eltern nicht arbeiten gehen und fehlen dann als weitere Fachkräfte, vielleicht sogar im Krankenhaus oder den Schulen. Es ist ein Teufelskreislauf, aber er kann mit dem nötigen Willen unterbrochen und ins Positive verändert werden.