Désirée Seliger

Désirée Seliger ist 33 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem Freund und dem Kater Davinci in einem kleinen Dorf in der Nähe von Frankfurt am Main. Wenn sie an ihre Schulzeit denkt, so kommen nicht nur gute Erinnerungen in ihr hoch. Mobbing und fehlende Hilfe der Lehrer*innen waren prägend für Désirée. Für sie sollte Schule auch ein Ort der Verantwortung sein und diese habe sie oft vermisst. Zu wenig wurde auf die Stärken der einzelnen Schüler*innen eingegangen und die Schwächen dafür nicht genug unterstützt. Zum Glück hat sich inzwischen einiges im Vergleich zu ihrer Schulzeit verbessert und sie sieht deutliche Verbesserungen bei ihrem Neffen und ihrer Nichte. Schulen gehen inzwischen mehr auf das individuelle Kind ein, aber gerade solche ernsten Themen wie Mobbing und Zugehörigkeit in der so sensiblen pubertären Phase, sind auch heute noch ein wichtiges Thema. Désirée hat damals das Schreiben von eigenen Büchern über diese schwierige Phase geholfen. Über ihre Geschichten konnte sie aus der Realität fliehen, aber auch Probleme besser verarbeiten.


Nach ihrem Realschulabschluss stellte sich die Frage, wie es für sie weitergehen sollte. Der Wechsel auf die Oberstufe bedeute eine Notlösung und der wirtschaftliche Schwerpunkt sorgte dafür, dass Désirée die restliche Schulzeit als Pflichtaufgabe sah und die Schule nur noch hinter sich bringen wollte. Schließlich fand sie einen Ausbildungsplatz zur Buchhändlerin, was ihre Leidenschaft für Bücher widerspiegelte und sie freute sich auf dieses neue Kapitel in ihrem Leben. Doch 6 Wochen vor Ausbildungsbeginn wurde der Ausbildungsvertrag für alle Auszubildenden aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt. Im ersten Moment brach für Désirée eine Welt zusammen, denn nach der ersten Enttäuschung stellte sich die Frage, wo sie so schnell einen neuen Ausbildungsplatz finden sollte. Doch durch einen Zufall führte sie der Weg zur Medizin und sie absolvierte die Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA). In diesem Beruf arbeitete sie auch nach Ausbildungsende noch einige Jahre, bis sie den Wunsch nach einer Veränderung spürte. Durch den vorhandenen Röntgenschein nahm sie eine Stelle in der Radiologie eines größeren Krankenhauses an. Diese Zeit bezeichnet Désirée heute als sehr interessant, aber auch anstrengend und fordernd. Der Krankenhausbetrieb mit seinen vielen verschiedenen Abläufen war vielseitig und spannend, doch die Mitarbeiter*innen wurden über die Zeit einfach verheizt. Sie selber habe einige Kolleg*innen gekannt, die aufgrund der hohen Belastung den Beruf gewechselt haben und neue Mitarbeiter*innen waren immer schwieriger zu finden.


Auch bei Désirée machte sich mit der Zeit die Belastung bemerkbar und nach dem zweiten Hörsturz zog sie die Konsequenz und wechselte noch einmal den Arbeitgeber. In einer Privatpraxis für plastische und ästhetische Chirurgie übernahm Désirée die OP-Leitung und fühlt sich endlich angekommen. Die Arbeit in der Privatpraxis ist sehr viel angenehmer und die Bedingungen für die Angestellten sind deutlich besser als im Krankenhaus. Der Stresspegel ist ein anderer und die Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung wesentlich höher. Aber der wichtigste Unterschied zu ihrem früheren Arbeitgeber ist für Désirée die Tatsache, dass sie am Ende des Tages mit ihrer Arbeit zufrieden ist. Als Beispiel nennt sie eine Lappenplastik nach einer abgeschlossenen Krebsbehandlung. In der Zeit bei der Radiologie hat sie die Patient*innen von der Diagnose bis zum guten oder auch schlechten Ende gesehen. In der plastischen Chirurgie sieht sie, wie Menschen nach einer schlimmen Krankheit wieder Lebensqualität geschenkt wird und das erfreut auch sie als Mitarbeiterin. Obwohl sie mit ihrer neuen Arbeit sehr glücklich ist, bereut sie die Zeit im Krankenhaus nicht. Es war eine in vieler Hinsicht lehrreiche und auch schöne Zeit, in der sie viele Menschen und deren ganz persönliche Geschichte kennenlernen dürfte. Aber wenn der Punkt erreicht ist, an dem die eigene Gesundheit und innerliche Balance aus dem Gleichgewicht geraten ist, muss eine Veränderung folgen und so geht es vielen ihrer ehemaligen Kollegen inzwischen ebenfalls. Ihre neue Tätigkeit in der plastischen Chirurgie bietet eine deutlich bessere Work-Life-Balance und genau so ein Gleichgewicht würde sie auch den Kollegen im Krankenhaus wünschen.


Dies muss in den nächsten Jahren von Seiten der Politik dringend verbessert werden, um die Arbeitsbedingungen und die Berufe im Gesundheitswesen wieder attraktiver zu gestalten. Genauso wie der Umgang mit berufstätigen Müttern im medizinischen Bereich. Frauen müssen sich mehr beweisen und oft bedeutet eine Schwangerschaft einen großen Karriereknick, denn reduzierte Arbeitszeit ist laut den Erfahrungen von Désirée ein großes Problem. Da wird jungen Müttern dann gerne der Nacht- und Wochenenddienst gegeben, der für diese Frauen wegen fehlender Betreuungsmöglichkeit einfach nicht umsetzbar ist. Hier braucht es noch sehr viel Veränderung und Flexibilität vonseiten der Arbeitgeber. Désirée sieht wirkliche Gleichstellung als einen schwierigen Prozess, weil nur Frauen die Kinder bekommen können. Sie haben somit immer eine andere Ausgangslage als Männer und doch muss es einen Weg geben, wie Frauen und Männer sich in der Arbeits- und Privatwelt gerecht ergänzen können. Hier hilft nur der Dialog und immer wieder auf Probleme hinweisen. Laut Désirée sollte überhaupt viel mehr miteinander statt übereinander geredet werden. Menschen können sich wunderbar ergänzen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, mit Hilfe der jeweiligen Stärken jedes Einzelnen, statt nur die Schwächen zu sehen. Genauso sieht es mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen aus. Das Denken in Schubladen muss aufhören und dafür Toleranz gelebt werden. Désirée wünscht sich eine Welt, in der die sexuelle Orientierung keine Rolle spielt. Genauso wie die Religion. Dies sind Privatangelegenheiten, die in der beruflichen oder gesellschaftlichen Welt niemanden etwas angehen.