Bernhard Reckling

Quelle: Bernhard Reckling

Bernhard ist 35 Jahre alt und wohnt zusammen mit seiner Frau im Rhein-Main-Gebiet. Er gehört deutschlandweit zu den wenigen männlichen Erziehern in der Kindertagesbetreuung (7,4 %, Stand 2021) und ich habe mich sehr gefreut, als Bernhard mir dieses Interview ermöglicht hat. Denn es ist eine tolle Möglichkeit, einen anderen Blick auf die Arbeit der Erzieher*innen zu erhalten und zeigen zu können, warum dieser von Frauen dominierte Beruf auch für Männer eine erfüllende Tätigkeit sein kann.

Bernhards Weg führte nach der Schule zunächst in eine ganz andere Richtung. Er absolvierte eine Ausbildung zum Koch und arbeitete in diesem Beruf  9 Jahre lang. Doch irgendwann kam er an einen Punkt, an dem er sich verändern wollte. Durch seine Frau hatte er Einblicke in die Soziale Arbeit erlangt und schon lange Zeit vorher immer wieder mit dem Beruf des Erziehers geliebäugelt. Schließlich hospitierte er in einer Kindertagesstätte und begann 2015 mit dem 6-monatigen Vorpraktikum. Im Anschluss begann er unter Anrechnung seiner bereits abgeschlossenen Berufsausbildung die 3-jährige Erzieherausbildung. Nach seinem erfolgreichen Abschluss fing Bernhard in einer Krabbelstube für die Betreuung der U3-Kinder an, die sehr viel Aufmerksamkeit benötigen. Es ist eine sehr wichtige Aufgabe mit hoher Verantwortung, die er mit seinen beiden Kolleg*innen bei der Betreuung der insgesamt 11 U3-Kinder nachgeht. Kinder sollen einen guten Start in die Gesellschaft und das Leben erhalten. Gerade die Betreuung so junger Kinder ist notwendig, um es den Eltern zu ermöglichen, wieder in die Erwerbstätigkeit zurückzukommen und den Kindern in dieser Zeit eine kindgerechte und pädagogisch sinnvolle Unterstützung zu bieten. Dazu möchte Bernhard mit seiner Arbeit einen Teil beitragen. Erzieherische Tätigkeit ist mehr als nur ein wenig basteln, singen und die Kinder zu beaufsichtigen. Gerade die psychoanalytische Pädagogik legt sehr viel Wert darauf, dass die Kinder einen echten Vorteil und Mehrwert aus dem Besuch der Kindertagesstätte ziehen.

Ein ganz wichtiges Thema ist für Bernhard die Wertschätzung seiner Arbeit. Die Ausbildung ist sehr lange und dauert in der Regel 5 Jahre. In anderen Ländern ist es ein Studiengang, weil dieser Beruf so vielschichtig und umfangreich ist. Auch innerhalb der Erzieher*innen gibt es nicht immer die gleiche
Wertigkeit und besonders die Arbeit mit den U3-Kindern wird gelegentlich belächelt, dabei ist der körperliche Aspekt nicht zu unterschätzen (z.B. müssen die Kinder viel getragen werden) und die psychische Belastung und Aufnahmebereitschaft ist über den gesamten Tag sehr hoch. Die Arbeit mit den U3-Kindern ist mehr als nur spielen und trösten und sehr anstrengend. Die emotionale Herausforderung und Ernsthaftigkeit werden insgesamt in dem Beruf der Erzieher*innen oft nicht gesehen.

Quelle: Bernhard Reckling

Die Männerquote ist besonders bei den U3-Kindern sehr gering im Gegensatz zu den Kindergärten oder dem Hort (wobei der Männeranteil auch dort noch viel zu niedrig ist). Bernhard beobachtet oft ein etwas unbeholfenes Verhalten von Männern im Umgang mit kleinen Kindern. Hier braucht es deutlich mehr männliche Vorbilder durch eine gute Öffentlichkeitsarbeit, eine bessere Bezahlung und vielleicht auch die Umwandlung der Ausbildung in einen Studiengang. In seiner Einrichtung war er der erste Mann, während seine Ausbildungsklasse bereits aus 10 Männern bestand. Grundsätzlich sieht Bernhard keinen besonderen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Erzieher*innen. Vielleicht sind es eher die männlichen Kollegen, die mit den Kindern wildere Spiele (Raufen, Toben etc.) machen. Dies kommt aber allen Kindern zugute, egal welches Geschlechts. Für Bernhard ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft nicht mehr in Schubladen denken. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass sowohl Frauen als auch Männer für pflegerische Tätigkeiten, wie das Trösten oder Kuscheln zuständig sind und für Bindungsbedürfnisse zur Verfügung stehen. Noch immer ist dieser Aspekt in der Arbeit der Erzieher*innen eher der „weibliche“ Part. Kinder und vor allem Jungen brauchen männliche Vorbilder, die genau dies verkörpern und profitieren davon in der Ausbildung einer reifen, männlichen Geschlechtsidentität, die es ihnen ermöglicht, sowohl Autonomie- als auch Abhängigkeitsbedürfnisse wahrzunehmen und zuzulassen. Nicht wenige Väter ziehen sich aus einer persönlichen Schwierigkeit auf dieser Ebene emotional aus der Erziehung ihrer Kinder zurück, was die Notwendigkeit alternativer männlicher Beziehungserfahrungen umso bedeutsamer werden lässt, damit sich diese Muster nicht wiederholen.

Im Vergleich mit seiner Zeit als Koch verdient Bernhard als Erzieher nicht nur besser, sondern hat inzwischen auch deutlich angenehmere Arbeitszeiten  (13-16 Stunden am Tag waren keine Seltenheit). Er ist froh diesen Weg gegangen zu sein und eine so fordernde, aber auch erfüllende Arbeit mit den
Kindern ausüben zu können. Für die Zukunft wünscht sich Bernhard ein weiteres Umdenken, weg von alten Rollenbildern, eine komplette Gleichberechtigung bis in die Führungspositionen und eine geschlechtsneutrale Sichtweise.

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Bernhard für das Interview und seinen
Einblick in die leider oft unterschätzte und wertvolle Arbeit eines Erziehers bedanken